Soest – Es ist der letzte Samstag im September, gerade einmal 9 Uhr in der Früh. Der Teller vor ihm ist dennoch bereits fast leer, nur der Fruchtquark wartet noch drauf, verdrückt zu werden. „Der kommt noch“, meint Oskar. „Zwei Brötchen habe ich jetzt weggefuttert. Normalerweise frühstücke ich ja gar nicht. So viel um diese Uhrzeit, das bin ich gar nicht gewohnt. Aber deshalb bin ich ja eigentlich gar nicht hier.“
Oskar ist nicht sein echter Name, denn er hat viel durchgemacht im Leben. Als Soldat wurde er 2006 bei einem Auslandseinsatz schwer verwundet, lag danach lange im Koma. Als er wieder zu sich kam, war er nicht nur ein Kriegsversehrter mit jeder Menge Metall im Körper, er hatte plötzlich das Lesen, Schreiben und Rechnen verlernt. Weil er somit seine behördlichen Angelegenheiten nicht mehr selber regeln kann, steht er unter gesetzlicher Betreuung.
Einsamkeit und Langeweile
Er versuchte, alles neu zu erlernen, kam aber nur bis zum Förderschulabschluss: „Ich bin quasi geistig behindert.“ 2017, so erzählt er, sei er obendrein in Soest überfahren worden, Fremdverschulden, er erlitt weitere bleibende Schäden. Heute, mit nicht einmal 70 Jahren, „bin ich Rentner, einsam und alleine und habe daher Langeweile und Depressionen. Ich komme nicht her, weil es hier etwas umsonst gibt. Es geht mir um die Unterhaltung, darum, Menschen zu treffen. Ich brauche Gesellschaft. Ich bin so dankbar für dieses Angebot. Was die Menschen hier für uns stemmen, das ist unglaublich. Ich bin froh, dass es diese Leute gibt. Sie sind nicht einfach nur nett und hilfsbereit – für mich sind das Engel.“
Schauplatz dieses Frühstücksangebots namens „DaSein“ ist der Gropper-Saal im Patroklushaus. Immer am letzten Samstag des Monats bietet hier ein Team von bis zu 15 Ehrenamtlichen zwischen Anfang 20 und Ende 80 von 8 bis 10.30 Uhr ein Frühstücksbüfett für Hilfsbedürftige, in erster Linie Menschen ohne festen Wohnsitz oder von Wohnungslosigkeit Bedrohte. Bereits um 7 Uhr stünden die Besucher vor der Tür. Initiator war Diakon Christian Majer-Leonhard. Er hatte ein vergleichbares Projekt im Hamburg kennengelernt, übertrug es vor sieben Jahren nach Soest. Anfangs wurde es finanziert vom Erzbistum, doch heute reicht die Hilfe der Sponsoren für das eine Büfett im Monat aus, außerdem helfen die Malteser.
Am Anfang war die Ablehnung
Klar, von einem Frühstück im Monat wird man nicht satt, alleine daran merkt man: Die Verpflegung steht nicht im Vordergrund. Anfangs ging es darum, Wohnungslosen im Winter für ein paar Stunden eine warme Zuflucht zu bieten und Menschen zusammenzubringen. Aber die Anfänge seien schwer gewesen, erinnert sich Franz Loke: „Wir machten Aushänge an Orten wie der Sozialberatungsstelle, der Tafel, der Übernachtungsstelle oder dem Männerwohnheim am Briloner Weg. Wir sprachen Personen in der Fußgängerzone direkt an und stießen damit zunächst nur auf Ablehnung. Die ersten Male kam nur eine Handvoll Leute.
Über die Zeit entwickelte sich das über Mundpropaganda, heute kommen im Schnitt jedes Mal 30 Besucher.“ Mit-Initiator Martin Strugholz ergänzt: „Dabei sind wir sind ja keine Sozialarbeiter. Beide Seiten mussten Barrieren überwinden: Wir mussten lernen, wie wir auf unsere Gäste zugehen und ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufbauen. Das brauchte seine Zeit.“ Loke: „Mittlerweile gibt es ein Stammpublikum und wir haben ein familiäres Miteinander. Wir begegnen einander auf Augenhöhe.“ Zweimal im Jahr gibt es eine besondere Aktion, ein Weihnachtsessen und eine Grillfeier im Sommer.
Hilfe geht weit über Gespräche hinaus
Mitunter ging das weit über das Gespräch beim Frühstück hinaus, erzählt Loke: „Es gibt Gäste, denen wir geholfen haben, aus einer extrem schwierigen Lebenssituation heraus eine Wohnung, einen Job und da auch die körperliche Fähigkeit, überhaupt wieder arbeiten zu können, zu bekommen. Oder an Kleidung oder eine neue Brille zu gelangen. Wenn uns diese Leute auf der Straße begegnen, betonen sie immer wieder, wie dankbar sie dafür sind.“
Eine schwere Prüfung war Corona. Loke: „Wir haben wirklich im tiefsten Winter frierend draußen gestanden, Brötchentüten geschmiert und mit Coffee-to-Go im Abstand von zwei Metern verteilt. Die Leute blieben aber stehen, die wollten mit uns reden und wir mussten sie auf Abstand halten. Wir hatten uns aber gesagt: Das ziehen wir durch, damit der Kontakt nicht abbricht.“
Den Besuchern an diesem Morgen sieht man ihre Wohnungslosigkeit nicht an, „aber das ist etwas anderes als Obdachlosigkeit. Die haben ein Dach über dem Kopf, entweder sie kommen wechselnd bei Freunden unter, leben in einem Wohnheim oder in der Notunterkunft. Aber sie haben keine eigene Wohnung. Die wenigsten kommen hier zerlumpt rein“, so Strugholz.
Es geht gegen 10.30 Uhr, auch Oskar hat sein Schälchen Quark nicht verkommen lassen und sich gut unterhalten. Dann macht er sich auf den Heimweg – und freut sich auf den letzten Samstag im Oktober: „Das hier ist der Ort, um meine Traumata zu verarbeiten.“
KLAUS BUNTE
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